Kinderarche Sachsen e.V.

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Rückblick auf 25 Jahre WG Seyde: ?Ich bin irgendwann angekommen?

01. Juni 2021

Wenn René Dorn an seine erste Zeit in Seyde denkt, muss er lächeln. Es dauerte nämlich keine zwei Tage, da unternahm der 14-Jährige seinen ersten ?Ausflug?. Er kam bis Schmiedeberg ? und wurde von den Erziehern wieder aufgesammelt. ?Ich wollte nach Dresden zurück, zu meinen Freunden, in das Leben, das ich kannte?, erinnert sich der heute 39-Jährige. Weil dieses Leben aus Straftaten, Schuleschwänzen, Rumhängen bestand, entschied das Jugendamt, René Dorn in die Wohngruppe nach Seyde zu schicken.

Diese war nur ein paar Monate vorher als erste Außenwohngruppe der Kinderarche Sachsen für besonders belastete Kinder und Jugendliche eröffnet worden. Die Erzieher hatten festgestellt, dass diesen Kindern das Leben auf dem Land, fort von den vielen Reizen in der Stadt, raus aus ihren Cliquen, weg von negativen Einflüssen ? guttut, weil sie hier Zeit für sich selbst finden.

Damals wie heute verbringen die acht Kinder der Wohngruppe viel Zeit an der frischen Luft, bauen in den langen Wintern Iglus und Schneeskulpturen, fahren Ski und Schlitten, räubern im Sommer im Wald herum, stromern zum Bach, bauen Buden, versorgen die eigenen Tiere, dürfen wild und laut sein, werden aber auch leise, um den Vögeln und dem Wind zu lauschen. Sie lernen, welche Schätze die Natur bereithält, sammeln Kräuter auf der Wiese, bereiten aus Bärlauch und Brennnesseln selbst leckeres Pesto zu.

Auch René Dorn hat sich nach dem anfänglichen Widerstand in der Wohngruppe eingelebt ? und wollte nach zwei Jahren gar nicht wieder weg. ?Ich war irgendwann angekommen, habe mich wohl gefühlt?, erzählt er. Im Nachhinein weiß er zu schätzen, dass die Erzieher nicht locker ließen, dass sie ihn zur Schule begleiteten, seine Hausaufgaben kontrollierten, sich einfach kümmerten. ?Ohne die Wohngruppe hätte ich nur ein Zeugnis der 6. Klasse gehabt?, sagt er, ?so hatte ich wenigstens einen 9.-Klasse-Abschluss in der Tasche und bin von meiner Clique weggekommen.?

Weil er die Ausbildung im Berufsvorbereitungsjahr von Seyde aus nicht erreichen konnte, zog René Dorn im August 1998 aus. Schicksalsschläge, Ängste und Unsicherheiten prägten die nächsten Jahre. Als seine Mutter starb, hörte er mit dem Alkohol auf, finanzierte mit ihrem Erbe den Führerschein. Nach kleineren Jobs kam er 2015 zum Malteser Behindertenfahrdienst und arbeitete dort fünf Jahre lang. Seit 2020 ist er nun bei einem Taxibetrieb angestellt, ist schuldenfrei und hat sein Leben im Griff.

Den Kontakt zur Wohngruppe hat er über die vielen Jahre nie verloren ? wenn er in der Gegend ist, schneit er spontan herein, hält den Kontakt zu seinen Erziehern und manchen Mitbewohnern von damals, kommt zu Festen gern vorbei. Auch zum 25-jährigen Jubiläum, das wir mit einem Fest am 23. Juli feiern wollen, wird er nach Seyde kommen und freut sich schon auf die Begegnungen.

Insgesamt 94 Kinder und Jugendliche haben in den vergangenen 25 Jahren wie René Dorn in der Wohngruppe Seyde ein Zuhause auf Zeit gefunden und nach und nach wieder Vertrauen gefasst: zu sich selbst und zu anderen. ?Viele Kinder, die wir hier betreuen, haben schwere Rucksäcke aus der Vergangenheit dabei?, sagt Einrichtungsleiterin Julia Mauersberger. Sie kommen aus der Großstadt, sind in Cliquen unterwegs, haben Erfahrungen mit Drogen, Gewalt und Missbrauch gemacht. In der Wohngruppe kommen sie zur Ruhe, finden einen Ort, an dem sie angenommen werden, wie sie sind.

?Wir machen gute Erfahrungen mit unserem tiergestützten Konzept?, berichtet Erzieherin Annette Bracklow-Junge, die seit 25 Jahren in der Wohngruppe arbeitet. ?Zu den Tieren können die Kinder leichter Vertrauen fassen, denn Tiere nehmen jeden Menschen einfach so, wie er ist.? In der Versorgung der Katzen, Hasen und Schafe lernen die jungen Menschen außerdem, Verantwortung zu übernehmen und sich über die Erfolge ihrer Arbeit zu freuen.

Aktuell ist das bevorstehende Fest das größte Thema in der Wohngruppe: Die acht Kinder und Jugendlichen, die momentan hier leben, bereiten ein kleines Programm vor und freuen sich wie die Schneekönige, dass nach Monaten der Kontaktbeschränkungen ein fröhliches Treffen mit Freunden, Unterstützern und Wegbegleitern hoffentlich wieder möglich ist.